Ärztebrief III 2025

BARRIEREN BRECHEN – NEUE PFLICHTEN DURCH DAS BARRIEREFREIHEITSSTÄRKUNGSGESETZ 2025

Gastbeitrag Björn Papendorf – KWM Law

Aktuelle Stolpersteine für Arztpraxen

Barrierefreiheit im Gesundheitswesen ist kein freiwilliger Standard, sondern eine gesetzlich verankerte Pflicht.

Seit dem 28. Juni 2025 ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in weiten Teilen in Kraft. Das Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und verfolgt das Ziel, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben zu stärken und Barrieren – insbesondere im digitalen Bereich – abzubauen.

In diesem Beitrag erfahren Sie, was das neue Gesetz für den ärztlichen Berufsalltag konkret bedeutet, welche Pflichten sich daraus für Ihre Praxis ergeben und wie Sie Barrierefreiheit nicht nur im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben, sondern auch als Chance für eine moderne und patientennahe Versorgung verstehen und umsetzen können.

 

Wen betreffen die Vorschriften des BFSG?

Die Vorgaben des BFSG richten sich an sogenannte Wirtschaftsakteure. Das sind Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher anbieten.
Arztpraxen sind betroffen, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:

  1. Die Praxis bietet digitale Dienstleistungen an, die unter das BFSG fallen. Dazu gehören Telekommunikationsdienste und sonstige Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr.
  2. Es handelt sich um eine Arztpraxis, die kein Kleinstunternehmen ist. Als Kleinstunternehmen gelten solche Praxen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro belaufen.

 

Was bedeutet „digitale Barrierefreiheit“?

Digitale Angebote gelten als barrierefrei, wenn sie von Menschen mit Behinderungen ohne besondere Erschwernis, ohne fremde Hilfe und in allgemein üblicher Weise genutzt werden können. Technische Grundlage dafür ist die Norm EN 301 5490, die sich auf die internationalen Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1, Konformitätsstufe AA) stützt. Die Norm verlangt: Digitale Anwendungen müssen für alle Nutzerinnen und Nutzer wahrnehmbar, bedienbar und verständlich sein.

 

Digitale Barrierefreiheit in Arztpraxen – Wo besteht Handlungsbedarf?

Für Arztpraxen hat das BFSG in erster Linie Auswirkungen auf die Praxis-Website, soweit dort digitale Dienstleistungen angeboten werden. Die Website ist für Patientinnen und Patienten häufig der erste Kontaktpunkt zur medizinischen Versorgung und ist damit besonders relevant für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Um die Barrierefreiheit der Praxishomepage sicherzustellen, sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  1. Klare Navigation: Die Praxishomepage sollte so gestaltet sein, dass sich Patientinnen und Patienten mühelos orientieren können, Bedienelemente – wie Schaltflächen – intuitiv nutzbar und relevante Informationen schnell auffindbar sind.
  2. Kontrastreiche Gestaltung: Deutliche Farbkontraste erleichtern die Lesbarkeit der Homepage-Inhalte für alle Nutzer.
  3. Verständliche Sprache: Klar formulierte, kurze Sätze und einfache Begriffe sorgen dafür, dass alle Menschen Ihre Homepage problemlos verstehen können.
  4. Screenreader-Kompatibilität: Die Vorlesefunktion ermöglicht blinden und sehbeeinträchtigten Nutzerinnen und Nutzern den barrierefreien Zugriff auf alle Text- und Bildinhalte Ihrer Praxishomepage.
  5. Technische Anpassungen: Bild-Alternativtexte, die vom Screenreader gelesen werden können und intuitive Tastensteuerungen, durch welche sich alle Funktionen und Navigationselemente ohne Maus bedienen lassen, runden ihre Website optimal ab.

Neben der barrierefreien Gestaltung von Praxis-Websites besteht auch bei Patientenportalen, bereitgestellten PDF-Dokumenten, Informations- und Aufklärungsvideos sowie digitalen Anwendungen wie Apps und Online-Diensten erheblicher Handlungsbedarf. Diese müssen so konzipiert sein, dass sie für alle Menschen – unabhängig von körperlichen oder kognitiven Einschränkungen – wahrnehmbar, bedienbar und verständlich sind.

 

Online-Terminbuchungen als typisches Beispiel für digitale Barrieren im Praxisalltag

Ein Blick in den Praxisalltag zeigt anhand eines Beispiels, wo digitale Angebote häufig noch nicht für alle Menschen zugänglich sind: Online-Terminbuchungssysteme sind ein beliebtes Angebot, um Patienten eine Terminvereinbarung rund um die Uhr zu ermöglichen. Sind die Kalender jedoch nicht mit Screenreadern kompatibel oder nur mit der Maus bedienbar, sind sie für Menschen mit Seh- oder motorischen Einschränkungen nicht nutzbar.

 

Was droht Ärzten bei Verstößen gegen das BFSG?

Die Einhaltung der Vorschriften des BFSG wird von der „Marktüberwachungsbehörde der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen“ überwacht. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 100.000 Euro. Zusätzlich können wettbewerbsrechtliche Abmahnungen durch Mitbewerber erfolgen, die finanzielle Schäden und Reputationsschäden verursachen können.

 

Was ist jetzt zu tun?

Um rechtssicher und zukunftsfest aufgestellt zu sein, sollten Ärzte folgende Maßnahmen umsetzen:
Bestandsaufnahme durchführen – Kontrollieren Sie, welche digitalen Angebote von Ihnen bereitgestellt werden. Prüfen Sie, ob Ihre Praxis und Ihre digitalen Angebote in den Anwendungsbereich des BFSG fallen.

Barrierefreiheit evaluieren – Analysieren Sie mit internen Verantwortlichen, Dienstleistern oder Experten, ob Sie die Anforderungen oder Normen der Barrierefreiheit von digitalen Produkten und Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr in Ihrer Praxis erfüllen oder entsprechend anpassen müssen.

 

Barrierefreiheit als Chance?

Das BFSG ist mehr als eine neue rechtliche Vorgabe, die es umzusetzen gilt. Es ist ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Teilhabe und bietet Arztpraxen die Möglichkeit, sich als moderne und sozial verantwortungsbewusste Einrichtung zu positionieren. Dadurch wird Ihr Praxisimage gestärkt und eine bessere Kommunikation mit allen Patientengruppen ermöglicht. Nutzen Sie die Anforderungen des BFSG als Wegweiser in Richtung einer zukunftsfähigen Praxis, die alle erreicht.

Björn Papendorf, LL.M.
Master of Laws (Medizinrecht)
Fachanwalt für Medizinrecht

KWM LAW PartG mbB
Albersloher Weg 10a ∙ 48155 Münster
Tel.: 0251 – 53599-0
E-Mail: papendorf@kwm-law.de

 

INVESTITIONSBOOSTER

Investitionssofortprogramm – verständlich erklärt
Überblick: Was steckt dahinter?

Ab Sommer 2025 hat der Bundesrat dem sogenannten Investitionssofortprogramm zugestimmt. Es startet unmittelbar und gilt bis Ende 2027. Das Programm ist Teil eines umfassenden Investitions-Booster-Pakets der Bundesregierung, das gezielt Selbständige, insbesondere Ärztinnen und Ärzte steuerlich entlasten und Investitionen gezielt fördern soll.

 

Degressive Abschreibung

Anstelle der regulären linearen Abschreibung (gleichmäßige Verteilung über mehrere Jahre) erlaubt das Programm eine degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter, die zwischen dem 01.07.2025 und dem 31.12.2027 angeschafft worden sind oder werden. Die degressive Abschreibung beträgt höchstens 30 %, maximal jedoch das Dreifache des linearen Satzes.

Beispiel: Eine Behandlungseinheit (50.000 €) mit einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 10 Jahren wird zum 01.01.2026 angeschafft.

Degressive Abschreibung (30 %) Lineare Abschreibung
(10 %)
Steuervorteil
(45 %)
Jahr 1 ./. 15.000 € ./. 5.000 € 4.500 €
Jahr 2 ./. 10.500 € ./. 5.000 € 2.475 €
Jahr 3 ./. 7.350 € ./. 5.000 € 1.057 €
Jahr 4 ./. 5.145 € ./. 5.000 € 65 €

Hinweis: Während die lineare Abschreibung an den ursprünglichen Anschaffungskosten bemessen wird, bemisst sich die degressive Abschreibung am verbleibenden Restwert des Vorjahres. Dadurch fallen die Abschreibungsbeträge in den ersten Jahren deutlich höher aus. Sobald die degressive Abschreibung zu einem geringeren Vorteil führt, kann zu der linearen Abschreibung gewechselt werden. Das Gesamtvolumen bleibt unabhängig von der Wahl der Abschreibungsmethode gleich. Es ändert sich lediglich der Zeitpunkt der Abschreibung. Durch die steuerliche Entlastung in den ersten Jahren, wird die Liquidität gestärkt.

 

Turbo Abschreibung für Elektrofahrzeuge

Für rein elektrisch betriebene Fahrzeuge, die zwischen dem 01. Juli 2025 und dem 31. Dezember 2027 angeschafft werden, gilt eine Sonderregelung zur degressiven Abschreibung. Dabei können im Jahr der Anschaffung bis zu 75 % der Anschaffungskosten als Aufwand geltend gemacht werden, unabhängig vom Monat der Anschaffung. In den Folgejahren senkt sich der Abschreibungssatz schrittweise.

Beispiel: Ein Elektrofahrzeug für 100.000 €, angeschafft Mitte des Jahres 2026 bei einem Steuersatz von 45 %:

Jahr 1 (75 %): 75.000 € (steuerliche Auswirkung: 33.750 €)
Jahr 2 (10 %): 10.000 € (4.500 €)
Jahre 3/4 (je 5 %): je 5.000 € (je 2.250 €)
Jahr 5 (3 %): 3.000 € (1.350 €)
Jahr 6: 2.000 € (900 €)

Wichtig: Die bisherige Nutzungsdauer für PKWs von 6 Jahren liegt auch bei der degressiven Abschreibung vor. Der Vorteil der schnelleren Abschreibung im Vergleich zur bisherigen linearen Abschreibung ergibt sich wiederum durch eine höhere Liquidität in den ersten Jahren.

 

Steuerbegünstigung für Elektro-Dienstwagen: Grenze steigt auf 100.000 €

Wenn Sie Ihren betrieblichen Pkw auch privat nutzen, muss dieser Vorteil versteuert werden. Dafür gibt es zwei Methoden:

  • 1 %-Regelung: Monatlich wird 1 % des Bruttolistenpreises des Fahrzeugs als geldwerter Vorteil versteuert (Achtung: betriebliche Mindestnutzung von 50 % erforderlich).
  • Fahrtenbuchmethode: Statt pauschal wird der tatsächliche Privatanteil anhand der Gesamtkosten und eines Fahrtenbuchs berechnet.

Für reine Elektrofahrzeuge gelten schon seit einigen Jahren deutliche Vergünstigungen: Bei der 1%-Regelung müssen nur 0,25 % des Bruttolistenpreises angesetzt werden. Bei der Fahrtenbuchmethode nur 25 % der Aufwendungen für Abschreibung oder Leasing des PKW. So zahlen Sie weniger Steuern, wenn Sie sich für ein E-Fahrzeug entscheiden.

Bisher galt diese Vergünstigung jedoch nur für Fahrzeuge mit einem Listenpreis von maximal 70.000 €. Mit dem Investitionsbooster 2025 hebt die Bundesregierung diese Grenze nun deutlich an:

  • Für Elektro-Dienstwagen, die ab dem 1. Juli 2025 angeschafft werden, gelten die Vergünstigungen bis zu einem Bruttolistenpreis von 100.000 €.

 

Hinweise zur degressiven Abschreibung

Die degressive Abschreibung ist nicht in jedem Fall steuerlich vorteilhaft. Liegt Ihr Einkommen aktuell unter dem Spitzensteuersatz (zum Beispiel in den Anfangsjahren Ihrer Praxistätigkeit), senkt die zusätzliche Abschreibung Ihren Steuersatz noch weiter. In späteren Jahren, wenn Sie mit höheren Gewinnen rechnen, steigt Ihr Steuersatz dann entsprechend wieder an. Da Ihnen in diesen Jahren jedoch weniger Abschreibungen zur Verfügung stehen, kann dies im Gesamtergebnis sogar zu einem steuerlichen Nachteil führen.

Der größte Vorteil der degressiven Abschreibung liegt in der zusätzlichen Liquidität: Sie zahlen im aktuellen Jahr weniger Steuern und haben dadurch mehr Geld zur Verfügung. Dieses können Sie gezielt für neue Investitionen in Ihre Praxis einsetzen oder es privat anlegen, um Ihr Vermögen aufzubauen.

 

Körperschaftsteuer

Neben den Vorteilen durch höhere Abschreibungen in den ersten Jahren, die für alle Unternehmensformen anzuwenden sind, wurde mit dem Investitionssofortprogramm auch die schrittweise Absenkung der Körperschaftsteuer beschlossen. Bis zum Jahr 2027 bleibt der Steuersatz weiterhin bei 15 %. Ab dem Jahr 2028 sinkt er jährlich um 1%-Punkt bis auf 10 % im Jahr 2032. Begünstigt werden damit alle Körperschaften ((MVZ-)GmbHs, Aktiengesellschaften, Vereine, usw.)

Beispiel: Eine MVZ-GmbH macht regelmäßig Gewinne von 150.000 €. Ihre Körperschaftsteuerlast entwickelt sich ab dem Jahr 2027 wie folgt:

Steuersatz Steuer
Jahr 2027 15 % 22.500 €
Jahr 2028 14 % 21.000 €
Jahr 2029 13 % 19.500 €
Jahr 2030 12 % 18.000 €
Jahr 2031 11 % 16.500 €
Jahr 2032 10 %  15.000 €

Hinweis: Körperschaften unterliegen, anders als Einzelpraxen oder Berufsausübungsgemeinschaften zusätzlich der Gewerbesteuer. Diese ist abhängig vom Gewerbesteuerhebesatz der jeweiligen Gemeinde, beträgt im Durchschnitt aber zusätzlich rund 15,23 %. Für einen Vergleich zur Wahl der Rechtsform ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Gewinn nach der Besteuerung durch die Körperschaft- und Gewerbesteuer aus der Körperschaft ausgeschüttet werden muss. Diese Ausschüttung unterliegt ebenfalls der Besteuerung.

Die Absenkung der Körperschaftsteuer führt auf Dauer zu einer geringeren Steuerbelastung und erhöht damit die Attraktivität von Kapitalgesellschaften. Ob sich die Gründung oder Umstrukturierung in eine MVZ-GmbH für Sie lohnt, ist jedoch stark vom einzelnen Fall abhängig, da GmbH-Strukturen bspw. durch zusätzlichen Verwaltungsaufwand bereits im laufenden Unterhalt teurer sind als Einzelpraxen oder Berufsausübungsgemeinschaften.

Zudem ist zu beachten: Aus berufs- und zulassungsrechtlicher Sicht ist die Einbringung einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis in eine GmbH nicht immer steuerneutral möglich. Insbesondere im vertragsärztlichen Bereich können berufsrechtliche Vorgaben oder Anforderungen der Kassenärztlichen Vereinigung einer steuerlich begünstigten Einbringung entgegenstehen. Um solche Risiken zu vermeiden, sollte die vertragliche Gestaltung unbedingt juristisch begleitet werden, idealerweise in enger Abstimmung mit der steuerlichen Beratung. Eine sorgfältige Prüfung im Vorfeld ist in jedem Fall unerlässlich.